Illusion Willensfreiheit

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Harroganz – when Halbwissen meets Arroganz

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Philosophen, die der Meinung sind, das Thema Willensfreiheit sei vor allem ihr Metier und noch vor Neurologen oder anderen Naturwissenschaftlern sei es an ihnen, Aussagen über die Existenz oder Nichtexistenz des freien Willens zu treffen,  hat man ja schon einige kennen lernen dürfen. Es zeigte sich dann wiederholt, dass die selbstgewisse Proklamation fachlicher Zuständigkeit sich oftmals umgekehrt proportional zu dem von den Philosophen gezeigten Verständnis wissenschaftlicher Zusammenhänge verhielt, knowledge gaps everywhere; man ist also schon einiges gewohnt.

Das Ausmaß an Herablassung bei gleichzeitiger Ahnungslosigkeit zum Thema selbst, das Thomas Metzinger in einem Interview auf Telepolis offenbart, ergibt dann aber doch noch mal eine besondere Qualität und würde es die Metapher vom Elfenbeinturm nicht geben, man müsste sie aus Anlass von Metzingers Äußerungen neu erfinden.

„Selbstgefällige ältere Herren“

Befragt zu den verschiedenen Positionen,  die es in der Debatte um die Willensfreiheit gibt, behauptet Metzinger, es gäbe diese Parteien gar nicht, stattdessen aber:

“ Was es gibt, sind selbstgefällige ältere Herren, die etwas über 30 Jahre alte Experimente von Benjamin Libet aufgeschnappt haben und sich im Feuilleton konservativer Tageszeitungen lächerlich machen. Es gibt auch einige wenige Vertreter der Hirnforschung, die die Feinheiten der philosophischen Willensfreiheitsdebatte nicht kennen …und dem öffentlichen Ruf ihrer eigenen akademischen Disziplin schaden.“

Wer die selbstgefälligen älteren Herren sind, und weshalb sie sich lächerlich gemacht und welche Hirnforscher warum dem Ruf ihrer akademischen Disziplin geschadet haben – man erfährt es nicht; zu allem schweigt Herr Metzinger vornehm, so wie er sich auch über Jahre zur Debatte um den freien Willen ausschweigen musste:   „Ich bin wirklich froh, dass ich die innere Disziplin aufgebracht habe, die so genannte „Willensfreiheitsdebatte“ über die letzten Jahre zu boykottieren“.

TOO BIG TO BE DISCUSSED 

Herrn Metzinger treibt zudem noch ein ganz besonderes Problem um, das sich häufig einstellt, wenn man im Elfenbeinturm wohnt:

 „Das Hauptproblem bei der Sache ist eben auch, dass die eigentlichen theoretischen Optionen etwas zu kompliziert sind um sie einfach so in den Medien zu diskutieren. Die eigentlichen philosophischen Fragen sind zu schwierig, um sie nebenbei auf Telepolis beantworten zu können.“

„Etwas zu kompliziert … um sie einfach so zu diskutieren…“ Da schaut Herr Metzinger aus seinem Elfenbeinturm herab auf die Niederungen der Feuilletons, in denen „unsägliche Willensfreiheitsdebatten“ losgetreten wurden (FAZ), in welchen ein Thema diskutiert wird, von dem alle Beteiligten  mehr oder weniger keine Ahnung haben, in denen „Journalisten  den Eindruck erweckt haben, als könnte hier einfach jeder so mitreden. Das ist am Ende aber eben nicht so“, während er, der Herr Metzinger, sich in all seinem Wissen jahrelang  in gänzlicher Zurückhaltung  üben musste, um nur ja nichts zu sagen oder etwas beizutragen …. Man hat es nicht leicht als Philosoph mit seiner Philosophie in der Tonne, im Elfenbeinturm …. .

Zum Glück hakt der Interviewer von Telepolis noch mal nach und fragt,  was Metzinger denn nun substanziell zur Willensfreiheit zu sagen hätte:

Wie in einem früherem Beitrag „Thomas Metzinger : Die Freiheit, die ich meine …“ erwähnt, schließt sich Metzinger der Ansicht der  „meisten Fachleute an, dass es das „Anderskönnen“ nicht gibt: „Körperbewegungen werden durch Gehirnvorgänge ausgelöst und gesteuert. Wenn alle physikalischen Randbedingungen, also der Körper, die Konfiguration des Gehirns und die Umwelt identisch sind, dann wird es auch zu identischen Körperbewegungen und geistigen Abläufen kommen.“

Und wie bereits angemerkt,  folgt nun eine Logikumkehr, ein Bruch in der Argumentation, denn Metzinger meint, dass sich nun erst die „eigentlich interessante Frage anschließe,  nämlich diese, „ob es Formen von Freiheit in einem schwächeren und trotzdem philosophisch interessanten Sinn gibt, die in diesem Sinne mit dem wissenschaftlichen Weltbild in Einklang zu bringen sind. “

Hatte ich zuvor irrtümtlicherweise  angenommen, Metzinger verlege sich einfach aus Opportunitätsgründen, um sich weiter im Gespräch zu halten, auf Nebenschauplätze, die mit dem Thema der Willensfreiheit nichts zu tun haben, so lässt sich nun bei genauerem Hinsehen feststellen, dass Metzinger das Konzept physikalischer Determiniertheit überhaupt nicht begriffen hat. Denn wäre dies der Fall, dann könnte er nicht von der Möglichkeit fabulieren “ dass es auch „physikalisch determinierte Systeme“ geben könnte, „die ganz unterschiedliche Grade von Autonomie besitzen. “

„Auch ein physikalisch determiniertes System könnte also einen hohen Grad an Autonomie besitzen, wenn es seinen eigenen inneren Vorgängen nicht einfach wie ein Träumer oder ein Flugzeug auf Autopilot ausgeliefert ist und wenn es sich selbst dann auf eine ganz bestimmte Weise als eine Ganzheit kontrollieren kann. Rationale Selbstkontrolle und die systematische Miteinbeziehung von Gruppeninteressen sind deshalb auch etwas, das uns frei machen kann – und diese Art von Freiheit ist etwas, das, so denke ich, auch ein physikalisch determiniertes System besitzen kann. Wenn das stimmt, ist Autonomie ein natürliches Phänomen, das in Abstufungen kommt – etwas, das man lernen und kultivieren kann, aber auch etwas, das man (wie alle andere Fähigkeiten auch) jederzeit wieder verlieren kann.“

Ein physikalisch determiniertes System ist ausnahmslos determiniert; Freiheitsgrade/ „Autonomie in Abstufungen“ gibt es genau: zero. Determinismus und und das Konzept  „Freiheitsgrad/Autonomie“ schließen einander vollständig aus.

Komplexe Systeme besitzen potentiell mehr Möglichkeiten, um auf verschiedenste Umweltanforderungen zu reagieren und auf diese Einfluss zu nehmen, sie sind aber genauso determiniert wie weniger komplexe Systeme und unterliegen den gleichen physikalischen Gesetzen, durch die sie vollständig in ihrer Existenz und in ihrem Verhalten bestimmt werden. Ein Tintenfisch ist gegenüber einer Amöbe ein tausendfach komplexeres Lebewesen,  aber wie der Einzeller wird  auch der Kopffüßer ausnahmslos durch die Gesetze der Physik determiniert, die keinerlei Freiheit von diesen zulassen.

„Es gibt ein intuitives Unbehagen an stärkeren Formen des Determinismus“

Stärkere Formen von Determinismus ?  Diese Aussage ist schlicht ein Oxymoron und zeigt, wie wenig begriffliche Klarheit bei Herrn  Metzinger vorhanden ist, was dann  wenig überraschend dazu führt, dass er am Ende des Interviews zu einer Schlussfolgerung gelangt,  die das genaue Gegenteil darstellt zu  dem, was er zuvor geäußert hatte:

Telepolis:  „Dann hängt also die Willensfreiheit von sozialen, erzieherischen, biologischen und persönlichen Komponenten ab?“

Metzinger:  “ Natürlich Wer nicht an seine eigene Autonomie zu glauben gelernt hat, dem fällt es schwerer, die entsprechenden Fähigkeiten zu entwickeln. Die absolute Willensfreiheit in metaphysischen Sinne des Setzens von Erstursachen gibt es wohl nicht. Was es gibt, ist das Naturphänomen der Selbstkontrolle und der Autonomie in komplexen Systemen und dieses Naturphänomen begegnet uns nicht nur in sehr vielen Nuancen und Graden der Ausprägung, sondern es braucht auch Randbedingungen, um sich entwickeln zu können.“

Wenn Metzinger zuvor ausführt, dass bei Vorliegen von gleichen „physikalischen Randbedingungen,  es zu “ identischen Körperbewegungen und geistigen Abläufen“ kommt und es also kein Anderskönnen gibt,  und er andererseits aber am Ende des Interviews plötzlich wieder der  „Autonomie“ und „Selbstkontrolle“ das Wort redet – zwei Konzepten, die es in determinierten System nicht geben kann, dann lässt sich nur noch feststellen, welches Ausmaß an confusione rationis  der Philosoph hier zum Besten gibt.

Mit dem Begriff der „Autonomie“ versucht Metzinger die Freiheit doch noch zu retten und ihr ein Hintertürchen zu öffnen. In der Philosophie mag es ja möglich sein, wild in den Beschreibungsebenen hin und herzuspringen und sich das herauszugreifen, was einem gerade für die eigene Argumentation geeignet erscheint; ernstnehmen kann man solcher Art „Beweisführungen“ aber nicht mehr.

 

 

 

 

 


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