Illusion Willensfreiheit

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§ 20 StGB – Die strafrechtliche Definition der Schuld

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§ 20 Strafgesetzbuch:  Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“

Das deutsche Strafgesetzbuch definiert Schuld also nur indirekt – über die Aufzählung von Schuldausschließungsgründen.

Danach liegt keine Schuld vor bei:

 

1.) einer krankhaften seelischen Störung

2.)  Schwachsinn

3.)  einer anderen schweren seelischen Abartigkeit

 

Das bedeutet im Umkehrschluss:

Jeder, der nicht unter die vorgenannten Diagnosen fällt, soll grundsätzlich in der Lage sein, nach jener Einsicht, (die Tat ist Unrecht), zu handeln, ihm wäre es  somit möglich gewesen, die Tat nicht zu begehen. Wurde die Tat trotz dieser Einsicht begangen, so handelte der Täter schuldhaft. 

Schuld wird im Strafgesetzbuch somit nicht positiv formuliert, sondern sie wird quasi als allgemein vorhanden unterstellt:  Schuld liegt grundsätzlich vor, es sei denn, jemand ist schwachsinnig, seelisch abartig oder krankhaft seelisch gestört.

Das ist die implizite Annahme der Willensfreiheit: Jeder, der über die Einsicht in den Unrechtscharakter einer Tat verfügt, ist demnach auch fähig, sich rechtskonform zu verhalten.  Alle Straftäter, die schuldig gesprochen wurden, begingen folglich die Straftat, obwohl sie hätten anders handeln können. 

Willensfreiheit jedoch ist eine Illusion, deshalb ist es  völlig irrelevant, ob jemand als seelisch krank oder schwachsinnig oder  psychisch gesund eingestuft wird, in keinem Fall konnte jemand anders handeln und das Konzept der “ Schuld“ ist damit hinfällig.

§ 21 StGB zählt  Schuldminderungsgründe auf. Aber etwas, das es nicht gibt, kann auch nicht gemindert werden. 

 

English version:  The Criminal Definition of Guilt

§ 20 German Criminal Code:  Lack of criminal responsibility  due to mental disorders

„A person who, when committing the offence, is incapable of understanding or acting in accordance with the injustice of the offence due to a pathological mental disorder, a profound disturbance of consciousness, or a mental deficiency or any other serious mental abnormality, shall act without guilt.

The German Criminal Code thus defines guilt only indirectly – by enumerating grounds for exclusion from guilt.

According to this, there is no guilt attached:

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Harroganz – when Halbwissen meets Arroganz

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Philosophen, die der Meinung sind, das Thema Willensfreiheit sei vor allem ihr Metier und noch vor Neurologen oder anderen Naturwissenschaftlern sei es an ihnen, Aussagen über die Existenz oder Nichtexistenz des freien Willens zu treffen,  hat man ja schon einige kennen lernen dürfen. Es zeigte sich dann wiederholt, dass die selbstgewisse Proklamation fachlicher Zuständigkeit sich oftmals umgekehrt proportional zu dem von den Philosophen gezeigten Verständnis wissenschaftlicher Zusammenhänge verhielt, knowledge gaps everywhere; man ist also schon einiges gewohnt.

Das Ausmaß an Herablassung bei gleichzeitiger Ahnungslosigkeit zum Thema selbst, das Thomas Metzinger in einem Interview auf Telepolis offenbart, ergibt dann aber doch noch mal eine besondere Qualität und würde es die Metapher vom Elfenbeinturm nicht geben, man müsste sie aus Anlass von Metzingers Äußerungen neu erfinden.

„Selbstgefällige ältere Herren“

Befragt zu den verschiedenen Positionen,  die es in der Debatte um die Willensfreiheit gibt, behauptet Metzinger, es gäbe diese Parteien gar nicht, stattdessen aber:

“ Was es gibt, sind selbstgefällige ältere Herren, die etwas über 30 Jahre alte Experimente von Benjamin Libet aufgeschnappt haben und sich im Feuilleton konservativer Tageszeitungen lächerlich machen. Es gibt auch einige wenige Vertreter der Hirnforschung, die die Feinheiten der philosophischen Willensfreiheitsdebatte nicht kennen …und dem öffentlichen Ruf ihrer eigenen akademischen Disziplin schaden.“

Wer die selbstgefälligen älteren Herren sind, und weshalb sie sich lächerlich gemacht und welche Hirnforscher warum dem Ruf ihrer akademischen Disziplin geschadet haben – man erfährt es nicht; zu allem schweigt Herr Metzinger vornehm, so wie er sich auch über Jahre zur Debatte um den freien Willen ausschweigen musste:   „Ich bin wirklich froh, dass ich die innere Disziplin aufgebracht habe, die so genannte „Willensfreiheitsdebatte“ über die letzten Jahre zu boykottieren“.

TOO BIG TO BE DISCUSSED 

Herrn Metzinger treibt zudem noch ein ganz besonderes Problem um, das sich häufig einstellt, wenn man im Elfenbeinturm wohnt: (mehr …)

Der Zustand der Welt – warum es Willensfreiheit nicht geben kann

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Eine elegante und zugleich präzise Begründung über die Unmöglichkeit der Willensfreiheit in einer – abgesehen von Quanteneffekten – vollständig kausal bedingten Welt, findet sich auf dem Blog von Martin Bäker:

Jede Entscheidung, die ich treffe, ist durch den Zustand der Welt zu Beginn des Entscheidungsprozesses determiniert.

Es ist nach diesem Standpunkt also nicht denkbar, dass ich mich auch hätte anders entscheiden können.

 

Martin Bäker: Hier-wohnen-Drachen-Warum ich das Problem nicht verstehe

 

Taschenspielertricks

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„Der Determinismus ist ja nur deswegen etwas, was uns beunruhigt, wenn wir über den freien Willen reden, weil wir das Gefühl haben, dass es irgendetwas gibt – die Naturgesetze, der liebe Gott, unser Gehirn, was für uns handelt. Dafür aber haben wir keine Indizien.“ 

Markus Gabriel, Podcast, Deutschlandfunk, 10. 11. 2016 

Die Naturgesetze handeln für uns? Hat man jemals einen Physiker davon sprechen hören, die Naturgesetze handelten für einen? Naturgesetze beschreiben Kräfte und Gesetze, denen alle Materie bis auf die Teilchenebene unterliegt und jeder Mensch, da ebenfalls aus Atomen und Teilchen aufgebaut, unterliegt daher auch denselben Kräften und Gesetzen.

Wer soll mit  „wir“ überhaupt gemeint sein?  Zombies, für die die Naturgesetze das Handeln übernommen haben? In die rhetorische Frage hat Gabriel praktischerweise das, was er zunächst einmal zu beweisen hätte, dass es da nämlich ein Gegenüber, ein Außerhalb zu den Naturgesetzen geben könnte, gleich mal als unhinterfragte Prämisse hineingelegt, um daran anschließend Wissenschaftlern Behauptungen zu unterstellen, die diese niemals geäußert haben.  (mehr …)

Point of no return – warum das Veto-Experiment nichts über die Existenz eines freien Willens aussagt

 

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„Unser Wille ist freier als angenommen“ – so konnte man es im Januar 2016 in den Headlines zahlreicher Medien [1] lesen, die über das sogenannte Veto-Experiment berichteten, das 2015 unter der Leitung von John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité  in Zusammenarbeit mit Benjamin Blankertz und Matthias Schultze-Kraft von der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde.  

Ausgangspunkt für die fast immer gleichen Schlagzeilen war offensichtlich der Teaser auf der Website der Charité , in welchem im Dezember 2015 zuerst die Formulierung auftauchte von dem „Willen, der freier sei als angenommen“, eine Folgerung, die sich aus den Resultaten des Veto-Experiment ergeben würde.

Diese Behauptung ist jedoch irreführend und falsch. Aus dem Vetoexperiment folgt ganz und gar nicht, dass der Wille frei oder auch nur „freier“ sei, als bisher gedacht. Das Experiment untersucht etwas ganz anderes als das, für das es durch John-Dylan Haynes in zahlreichen Interviews der Öffentlichkeit verkauft wird.

Tatsächlich geht es bei dem sogenannten Veto Experiment um die Schnelligkeit und die Grenzen der Informationsverarbeitung, d.h. um das Reaktionsvermögen bei neuen Signalen, die erst in Sekundenbruchteilen vor Ausführung einer beabsichtigen Handlung eintreffen und die im Widerspruch zur ursprünglichen Information und damit im Widerspruch zur ursprünglichen Handlungsintention stehen.

 

Zum Ablauf des Veto-Experiments

Das Experiment wurde in Analogie zu einer Haltesituation vor einer Ampel konzipiert. Auf dem Bildschirm erscheinen abwechselnd grüne und rote Signale. Die Instruktion an die Probanden lautete: “ Drücken Sie, wann immer Sie wollen, es sei denn, das Licht ist rot geworden“ . Drücken die Probanden, deren Hirnströme während des Experiments per EEG ausgelesen werden, bei Grün das Pedal, gewinnen sie einen Punkt, im Versagensfall, sie drücken das Pedal obwohl ein Wechsel auf Rot erfolgte, wird ihnen ein Punkt abgezogen.

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