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Archiv für den Monat Mai 2017
Die einzige Möglichkeit, in exakt derselben Situation
zwei unterschiedliche Dinge zu tun, wäre ein Zufallsgenerator; der passt aber genau nicht zum freien Willen.
Martin Bäker
M. Bäker http://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen
Ein Elementarteilchen ist unvorhersehbar aufgrund seines Quantenverhaltens, ein Mensch ist unvorhersehbar aufgrund seiner Komplexität.
Der strafrechtliche Schuldbegriff
Gerhard Roth:
„Der strafrechtlichen Schuldbegriff baut auf dem metaphysischen Begriff der Willensfreiheit auf, der ein “rein geistiges” Andershandelnkönnen unter identischen physisch-psychischen Bedingungen vorsieht. Dies steht im Widerspruch zum naturwissenschaftlichen Denken und den psychologischen und neurobiologischen Erkenntnissen zur Entwicklung der Persönlichkeit und Motivstruktur des Menschen.
Es wird vorgeschlagen, den Begriff der Willensfreiheit durch den im Zivilrecht vorherrschenden Begriff der “freien Willensbildung” zu ersetzen. Dieser beinhaltet die Fähigkeit, die Rahmenbedingungen und mögliche Konsequenzen eigenen Handelns hinreichend abzuwägen. Sie wird als das Ergebnis der Normalentwicklung des Gehirns und seiner kognitiven, emotionalen und exekutiven Fähigkeiten verstanden. Aus ihr leitet sich eine Verantwortlichkeit eines Menschen für sein Handeln ab.
G.Roth: Schuld und Verantwortung Die Perspektive der Hirnforschung
Moralische Schuld nach Kant
Gerhard Roth:
„Problematischerweise beruhen das geltende Strafrecht und sein Schuldprinzip auf dem Kant’schen Prinzip der Willensfreiheit. Danach hatte der Straftäter trotz aller Bedingtheit durch Persönlichkeit und Umstände die Möglichkeit, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden; dass er dies nicht tat, begründet seine Schuld.
Psychologen, Hirnforscher und auch viele Strafrechtler halten diese Schuldbegründung für absurd. Wie zahlreiche, auch eigene, Untersuchungen über chronische Gewalttäter zeigen, liegen die Ursachen für deren Tun in genetischen und psychosozialen Defiziten, die der Täter gar nicht steuern konnte. Auch wenn der Täter wie jeder geistig gesunde Mensch für seine Taten verantwortlich ist, ist er doch nicht moralisch schuldig.“
Theeuropean:Gerhard Roth – Die Freiheit des Willens
KRITIK
Geistig gesund oder nicht – spielt mit der Negation eines freien Willens keine Rolle mehr.
Jeder Täter ist unschuldig im Sinne von nicht moralisch schuldig.
Jeder Täter ist in gleicher Weise für seine Tat verantwortlich wie ein geistig gesunder oder geistig unzurechnungsfähiger Mensch für seine Tat verantwortlich ist.
Der Täter hat eine (Straf)-Tat kausal verursacht.
Er war kausal verursachend, wie zB ein durchgegangenes Pferd kausal verursachend für die Verletzung eines von diesem zu Boden gerissenen Menschen sein kann.
Strafrechtliche Schuld bedeutet Vorwerfbarkeit, die Annahme also, dass der Täter auch anders hätte handeln können.
Wenn der Mensch keinen freien Willen hat, gibt es für keinerlei Taten die Möglichkeit der Vorwerfbarkeit, ganz gleich, ob diese von einem geistig gesunden oder geistig kranken Täter begangen wurden.
Loch Ness und andere Ungewissheiten: Frage: Wozu Kausalität? – Ereignisse kann es auch ohne Ursache geben
ist Daniel von Wachter überzeugt:
„So behauptet Prinz: „Wissenschaft geht davon aus, daß alles, was geschieht, seine Ursachen hat“ (Prinz 2004, 22), und meint damit, daß jedes Ereignis das Ergebnis einer deterministischen Ursache ist. Das setzt „die Wissenschaft“ natürlich nicht voraus, und sie hat auch keinen Grund für diese Annahme. Naturwissenschaft sucht mitunter nach deterministischen Ursachen, aber Suchen setzt nicht die Annahme voraus, daß es das Gesuchte gibt. Wer nach dem Ungeheuer von Loch Ness sucht, setzt nicht voraus, daß es es gibt. Andererseits werden für die These, daß uns Verschaltungen festlegen, Argumente aus der Hirnforschung vorgelegt. Aber bestenfalls hat die Hirnforschung einzelne Ursachen einzelner Ereignisse gefunden. Das zeigt nicht, daß es keine Gehirnereignisse gibt, die keine deterministische Ursache haben, und es zeigt schon gar nicht, daß alle Gehirnereignisse durch vorangehende Ereignisse festgelegt sind. Kein Ereignis legt ein späteres fest, und kein Ereignis ist durch vorangegangene Ereignisse festgelegt.“
Wachter: Kein Gehirnereignis kann ein späteres festlegen
Gehirnereignisse als frei von Kausalität zu denken – im naturwissenschaftlichen Zeitalter – darauf kann wohl nur ein Geistes“wissenschaftler“ (Philosoph) kommen ….
„Gehirnereignisse“ , die nicht durch vorangehende Ereignisse bedingt sind?
Aber was ist dann ihre Ursache: Göttliche Einflussnahme? Der Heilige Geist? Der Hegelsche Weltgeist? (mehr …)
Das Freiheitserleben ist ein Gefühl wie andere neuronal erzeugte Gefühle auch
Helmut Fink:
„Das Freiheitserleben ist dann ein Gefühl wie andere neuronal erzeugte Gefühle auch. Zu glauben, dass diesem Gefühl eine reale Wahlfreiheit in der Außenwelt entspricht, wäre dann allerdings nur eine wenngleich nützliche – Illusion.
Zwar gibt es Handlungsfreiheit im Sinne der Abwesenheit von Hindernissen, so zu handeln wie man will.
Und es gibt den Willen als neuronal erzeugte Vorstufe möglichen Handelns. Aber von diesem Willen seinerseits noch einmal zu behaupten, er sei frei, hätte dann keinerlei objektive Grundlage mehr: Der Mensch kann zwar (in günstigen Fällen) tun was er will. Aber er kann nicht (im analogen Sinn) wollen, was er will.
Helmut Fink, Rainer Rosenzweig, in: Freier Wille – frommer Wunsch?, S. 11f
Neuronen sind Teil der materiellen Welt und unterliegen deren Gesetzen
Helmut Fink:
Alle Naturvorgänge folgen entweder deterministischen Verlaufsgesetzen oder sie enthalten streng indeterministische Prozesse, für die die Quantentheorie präzise Wahrscheinlichkeitsaussagen ermöglicht. In beiden Fällen kommt die Beschreibung ohne metaphysische Zutaten aus. Das Auffinden von Ursachen zur Erklärung von Phänomenen findet immer innerhalb der materiellen Welt statt. Diese Geschlossenheit der materiellen Welt finden wir überall bestätigt- Wieso sollten sie gerade bei bewussten Willensentscheidungen nicht gelten? Die Erklärung komplexer Phänomene durch Rückführung auf ihre konstituierenden Bestandteile hat sich tausendfach bewährt. Da scheint es nur konsequent, dieses reduktionistische Herangehen auch auf geistige Phänomene anzuwenden.
Welcher Spielraum könnte für eine Freiheit des Willens noch übrig bleiben, wenn der Zustand aller Neuronen zur (im Prinzip erforschbaren) Grundlage der Beschreibung gemacht wird? (mehr …)
Die Folgen der fehlenden Freiheit
Bernulf Kanitscheider:
Damit ist es auch vereinbar, dass das Gehirn eine Selbstreflexion beginnt, die die Entscheidung in vielfacher Weise abwägt und gegebenenfalls auf die Auslösung der Handlung verzichtet.
Auch diese Metareflexion ist kein Vorgang, der über der neurologischen Architektur schwebt, sondern wurde durch Sozialisierung und Erziehung dispositionell in die neuronale Verschaltung eingearbeitet. Das bedächtige Abwägen von Handlungsalternativen und die Fähigkeit, über logische Folgerungsketten die Langzeitkonsequenzen von Taten oder Untaten zu erkennen, ist eine Leistung des Gehirns, das dieses durch Training, Vorbild, Anreiz erarbeitet hat. (mehr …)
Bernulf Kanitscheider
„Nun kann es nicht geleugnet werden, dass in uns Menschen verführerische Gefühle am Werk sind, die uns suggerieren, dass trotz aller gesetzesartigen Determiniertheit unseres mentalen Zustandes wir zu jedem beliebigen Zeitpunkt den Eindruck haben, dass wir eine nicht durch Ursachen bestimmte Möglichkeit in uns vorfinden, in einer Wahlsituation jede von zwei Alternativen auszusuchen.
Wie eindringlich auch diese Vorstellung sein mag, dass trotz der vergangenen Geschichte des Universums, die uns in die Situation zum Zeitpunkt t0 gebracht hat, wir in der Lage wären, eine kausal von dieser Situation unabhängige Entscheidung in t>t0 zu fällen, dürfen wir nicht vergessen, dass es sich dabei um eine Illusion handeln kann. Die Menschen erliegen verschiedenen metaphysischen Trugbildern, so auch etwa der, dass die Zeit fließt und wir vom Strom der Zeit weggetragen werden. In gleicher Weise drängt sich nun die Illusion der Unabhängigkeit unserer Entscheidungen vom momentanen Zustands unseres Gehirns auf. Dieser Täuschung erliegen wir aber nur – wie schon Spinoza bemerkte – weil unser Gehirn für uns selber als Handelnde undurchdringlich bleibt. (mehr …)
Kausalgesetz und Willensfreiheit
Max Planck:
„Kausalgesetz und Willensfreiheit – ein Thema so alt wie der innere Drang eines jeden ernsthaft nachdenkenden Menschen, das Bewusstsein seiner eigenen sittlichen Würde in Einklang zu bringen mit seiner Überzeugung von dem Walten einer strengen Gesetzlichkeit in dem gesamten Getriebe der äußeren und inneren Welt. Offenbart sich hier doch auf den ersten Anblick ein Gegensatz, wie er schärfer kaum gedacht werden kann:
Auf der einen Seite der Ablauf aller Geschehnisse nach unverbrüchlichen Regeln – in der Natur wie im Geistesleben -, die Vorbedingung jeder wissenschaftlichen Erkenntnis und die Grundlage allen praktischen Handelns.
Auf der anderen Seite die uns in unserem Selbstbewusstsein, also durch die unmittelbarste Erkenntnisquelle, die es geben kann, verbürgte Gewissheit, dass wir letzten Endes selber Herr sind über unsere eigenen Gedanken und Entschließungen, dass wir in jedem Augenblick die Möglichkeit haben, so oder so zu handeln, klug oder töricht, gut oder schlecht.
Wie reimt sich dies beides zusammen? Sicherlich ist doch jeder einzelne von uns auch nur ein Stück der großen Welt, und daher ebenso wie alle übrigen Wesen ihren Gesetzen unterworfen.“
Max Planck, Kausalgesetz und Willensfreiheit, 1923
Wolf Singer: Das Gehirn, ein sich selbst organisierendes System
Die funktionelle Architektur des menschlichen Gehirns wird durch drei ineinander übergreifende Prozesse bestimmt :
1. Evolution– Die ererbte genetische Anlage legt die Grundverschaltung fest und verankert auf diese Weise Wahrnehmungsverschaltung und Verhaltensroutinen, die sich im Laufe der Evolution durch Anpassung und Selektion ausgebildet haben. In diesen genetische Strukturen ist also bereits Wissen über die Welt niedergelegt.
2. Wird die Architektur menschlicher Gehirne während eines langen Entwicklungsprozesses nachhaltig von Umweltprozessen geprägt
3. Verschaltungen werden durch lebenslanges Lernen weiter verändert. Letzteres beruht ebenfalls auf Änderungen der funktionellen Architektur des Gehirns“
Der Ausschnitt der Welt – Über die Limitierung unserer Erkenntnismöglichkeiten
„Wir können natürlich nur erkennen, erdenken und uns vorstellen, was die kognitiven Funktionen unseres Gehirns uns zu erfassen erlauben. … Diese Leistungen sind mit ganz großer Wahrscheinlichkeit sehr eingeschränkt. Das Gehirn hat sich, wie alle anderen Organe und wie der Organismus als Ganzes, im Lauf der Evolution an die Bedingungen der vorgefundenen Welt angepasst, nicht anders als die Fischflosse an Eigenschaften des Wassers. Diese Anpassungen erfolgten an jenen Bereich der Welt, in dem sich Leben entwickeln konnte. Und dies ist ein extrem schmaler Ausschnitt des uns bis jetzt bekannten Universums. Leben hat sich in einer Dimension entwickelt, die sich von Mikrometern – der Raum der Bakterien – bis zu einigen Metern erstreckt. Das ist der Ausschnitt der Welt, der für das Überleben relevant ist. In diesem Segment sind ganz bestimmt Qualitäten und Gesetzmäßigkeiten prävalent. Es ist der Bereich solider Objekte und abgegrenzter Gegenstände. In der Quantenwelt und der kosmischen Dimension herrschen gänzlich andere Bedingungen. “ (mehr …)