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„Eifersuchtswahn“ – BGH kassiert Freispruch des Landgerichts Saarlouis – ein richtiges Urteil, wenn auch aus den falschen Gründen

Aus dem Urteil des BGH, 6 StR 470/21, 18.05.2022

Das Landgericht hat festgestellt:


„Seit Anfang November 2019 entwickelte sich beim Angeklagten die überwertige, wahnhafte Idee, seine Ehefrau habe ein Verhältnis mit dem Nebenkläger.
Nicht ausschließbar beruhte diese auf einer akuten, nicht andauernden wahnhaften psychotischen Störung, ohne dass Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Defektzustand bereits vor diesem Zeitpunkt vorgelegen hatte. Der Wahn verfestigte sich bis zum 13. November 2019 so sehr, dass der Angeklagte den Nebenkläger im Straßenverkehr „ausbremste“ und ihm durch das geöffnete Autofenster mit der Faust ins Gesicht schlug. Drei Tage später rief er dessen Arbeitgeber an und stellte in Aussicht, dass er dem Nebenkläger den Kopf „abmachen“ werde, wenn er sich jemals wieder „im Gebiet“ des Angeklagten blicken lasse.

Familienangehörige versuchten, dem Angeklagten medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Am 9. Dezember 2019 wurde er von seiner Tochter in eine Klinik gebracht. Sie gab an, dass er unter massivem „Eifersuchtswahn“ in Bezug auf seine Frau leide. Der Angeklagte entzog sich jedoch einer Behandlung. Ein in der Folge aufgesuchtes psychiatrisches Krankenhaus verließ er gleichfalls wieder. Bei einem Moscheebesuch kündigte er die Tötung des Nebenklägers an.

Am Vormittag des 24. Dezember 2019 „hatte der Angeklagte sich derart in seinen akuten Eifersuchtswahn hineingesteigert, dass er keine Handlungsalternative dazu sah, den Nebenkläger durch einen gewaltsamen Angriff mit einem Messer zur Aufgabe der nur in der Vorstellung des Angeklagten bestehenden Affäre mit seiner Frau zu zwingen“. Er fuhr mit einem Messer bewaffnet zur Wohnung des Nebenklägers und wurde dort von dessen Tochter gesehen. Der Nebenkläger und sein Bruder verließen das Haus, um den Angeklagten zur Rede zu stellen. Dieser war jedoch mittlerweile wieder weggefahren, wobei er seinen Plan nicht aufgegeben hatte. Der Nebenkläger und sein Bruder bestiegen ein
Auto, um den Angeklagten zu suchen.

Als sie an einer Ampel warteten, fuhr der Angeklagte neben den Wagen des Nebenklägers. Sinngemäß sagte er, er habe „die Schnauze voll“ und werde dem Nebenkläger „den Kopf wegmachen“ oder ihn „schlachten“. … Der Angeklagte beugte sich hinunter und stach ihm (dem Nebenkläger) das Messer in den Oberbauch. Es war ihm bewusst, dass die Handlung eine lebensgefährliche oder gar tödliche Verletzung verursachen konnte, was ihm zumindest gleichgültig war.

Die Schwurgerichtskammer hat angenommen, dass der Angeklagte einen versuchten Totschlag nach § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 StGB begangen habe.

Jedoch sei er freizusprechen, weil seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat womöglich vollständig aufgehoben gewesen sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte jedenfalls im Augenblick der Tat so sehr unter dem Bann seines „Eifersuchtswahns“ gestanden habe, dass er zu keiner anderen Handlung in der Lage gewesen sei. Mangels überdauernden Defektzustandes im Sinne von § 63 Satz 1 StGB scheide eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus aus.

Die Schuldfähigkeitsprüfung hält rechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand. Sie beruht auf einer unzureichenden Beweiswürdigung und legt nahe, dass das Landgericht der psychiatrischen Sachverständigen und deren Zweifel an erhalten gebliebener Steuerungsfähigkeit („könne nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden“) gefolgt ist, ohne sich – wie es geboten gewesen wäre (…) – unter Berücksichtigung aller Umstände, die deren Bewertung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in Frage stellen, ein eigenes Urteil zur Schuldfähigkeit zu bilden.

Das Urteil enthält nur unzureichende Feststellungen zu den medizinisch-psychiatrischen Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten. Bereits der von der psychiatrischen Sachverständigen diagnostizierte „akute Eifersuchtswahn“ ist nicht hinreichend belegt. Den Urteilsgründen ist lediglich zu entnehmen, dass der – im gesamten Verfahren schweigende – Angeklagte grundlos davon überzeugt war, seine Ehefrau habe ein Verhältnis mit dem Nebenkläger, und dass er diesem deshalb nach dem Leben trachtete. Die insoweit getroffenen – eher kursorischen – Feststellungen beruhen dabei wohl auf der Aussage eines Polizeibeamten, zu der das Landgericht Einzelheiten nicht mitteilt. Auf dieser Basis kann nicht beurteilt werden, ob die Wertung der Sachverständigen zutrifft, der Angeklagte sei einem Wahnsystem verfallen. Die erforderliche umfassende Erörterung und Würdigung der Befundtatsachen, im Rahmen derer namentlich auch zu erörtern gewesen wäre, ob nur eine keiner Eingangsvoraussetzung des § 20 StGB unterfallende pathologisch akzentuierte Eifersucht vorgelegen haben könnte, lassen das Gutachten und damit auch das Urteil vermissen.

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