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Bei der Nase des Philosophen

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Der Philosoph Peter Strasser empört sich in der NZZ, ( „Verschwindet mit dem freien Willen auch die freie Gesellschaft?“ ) über Aussagen der Neurowissenschaften im Allgemeinen und kritisiert die Relevanz ihrer Experimente im Besonderen und zeigt en passant was passiert, wenn Philosophen sich anmaßen, über naturwissenschaftliche Testverfahren urteilen zu können, die sie offensichtlich nicht nur nicht verstanden haben, sondern die sie noch nicht einmal zu unterscheiden in der Lage sind.

Strasser führt aus, dass seit den Libet-Experimenten die Resultate der Hirnforschung  zwar immer in dieselbe Richtung deuteten: Der Mensch entscheidet nicht und weder gibt es das Ich noch den freien Willen,  jedoch; die Fortführung der Experimente zeige etwas „Differenziertes“ :

Zwar beginnt  der Aufbau des sogenannten «Bereitschaftspotenzials» im Gehirn schon Sekunden, ja Minuten vor der vermeintlich freien Entscheidung. Aber die Prognosen gehen umso öfter fehl, je mehr Zeit die Person hat, gute Gründe für ihre Entscheidung zu finden. „

Das Bereitschaftspotenzial erscheint schon Minuten vor der Entscheidung?

Das Bereitschaftspotential gehört zur Gruppe der langsamen antizipatorischen Potentiale, es lässt sich elektrisch (per EEG) ableiten und tritt kurz, im Millisekundenbereich,  vor willkürlichen Bewegungen in der Großhirnrinde im supplementär-motorischen Cortex auf, es erscheint bis maximal zu einer Sekunde aber niemals mehrere Sekunden oder gar Minuten vor einer Bewegungsvorbereitung.

Was ist hier geschehen? Der philosophierende Herr Strasser hat offensichtlich die Experimente, von denen er mal irgendwie, irgendwann etwas gehört haben mag, kurzerhand zusammengemixt und deklassiert sich dadurch öffentlich als jemand, der zwar über etwas Halbwissen verfügt, von der Materie aber im Grunde keine Ahnung hat.

Ein Bereitschaftspotential lässt sich nur elektrisch ableiten, nicht aber im MRT darstellen, auf dem Einsatz von letzterem beruhten aber die Experimente von zB. Haynes u.a., in denen schon 7 Sekunden (nicht aber Minuten!) vor einer Entscheidung, (Bewegung des rechten oder des linken Zeigefingers), für den Versuchsleiter ablesbar war, für welchen Finger sich die Probanden entscheiden würden.

Es gibt keine Testverfahren, in denen Minuten vor einer Entscheidung, eine Vorhersage via Messverfahren möglich wäre, offensichtlich hat Herr Strasser zu allem Überfluss nicht nur die Experimente durcheinander gebracht, sondern auch noch die korrelierten Zeiteinheiten vertauscht.

Dass hier verschiedene Messtechniken zum Einsatz kamen und Verschiedenes gemessen wurde – geschenkt, solche Details und Differenzierungen verderben nur das  Aufregermenü, das im philosophischen Küchenkabinett des Herrn Strasser zusammengerührt wurde.

 

“ Ich habe kein Ich, so wie ich eine Nase habe“

 

Strasser:

Zweifellos ist unser Ich keine Substanz, wie René Descartes postulierte, als er von einer «res cogitans», einer «denkenden Sache», sprach. Daher wäre es gewiss ein Unfug, zu behaupten, dass neben mir, als Person, noch ein Gespenst in meiner Zirbeldrüse oder sonst wo hauste, dessen Name «Ich» wäre.

Doch dass ich in der ersten Person Singular zu reden imstande bin – und nur auf diese Weise korrekt über mich rede –, ist unleugbar. Ich erfahre mich als eine Einheit, die fähig ist, passiv zu erleben, aber auch aktiv Dinge in der Welt herbeizuführen. Ich habe kein Ich, so wie ich eine Nase habe, doch ich bin eine sich ihrer selbst bewusste Person, deren geistige und sinnliche Aktivitäten ihrem Wesen nach ich-haft sind. Deshalb ist es unumgänglich – und wird von meiner Umwelt allgemein anerkannt –, dass ich mir viele meiner Handlungen moralisch zurechne.

 

Herr Strasser erfährt sich als eine Einheit, die fähig ist, passiv zu erleben; so was kann nur jemand schreiben, dem unbekannt ist, dass nichts, rein überhaupt nichts, passiv erlebt wird, da sämtliche Wahrnehmung vom Gehirn immer aktiv hergestellt wird.

 

„Ich habe kein Ich, so wie ich eine Nase habe, aber meine Aktivitäten sind ihrem Wesen nach ich-haft.“ formuliert Strasser in bester Zirkelschlussmanier.

Das Ich gibt es nicht, aber das „Ich-hafte“ das gibt es ?

 

Philosophen rühmen und preisen sich ja immer wieder gerne für ihre Sprachmächtigkeit und insistieren, nur sie seien in der Lage,  Erkenntnisse aus der Naturwissenschaft, die Ethik und Moral und das Selbstverständnis des Menschen betreffen, in einer für die Gesellschaft adäquaten und angemessenen Weise aufzugreifen.

An den Tautologien von Peter Strasser lässt sich gut ablesen, dass die „Sprachmächtigkeit“  der Philosophen oftmals zu nichts anderem dient als zur Camouflage, um durch mehr oder weniger eindrucksvolle Neologismen, also durch eine Art semantisches Täuschungsverfahren dem Publikum weiszumachen, dass mit der Einführung einer neuen oder abgewandelten Begrifflichkeit auch bereits der Nachweis  für das erbracht wäre, was da behauptet wird.

„Die Suffixendung  – haft drückt in Bildungen mit Substantiven aus, dass die beschriebene Person oder Sache vergleichbar mit jemandem, etwas oder so geartet wie jemand, etwas ist“ (Duden)

Beispiele: babyhaft, bruchstückhaft, romanhaft

Wenn Herr Strasser ausführt, es gebe zwar kein Ich, wohl aber das Ich-hafte – dann biegt sich er die semantische Logik für seine persönliche Beweisführung zurecht: Denn wenn das Suffix „- haft“  immer auf etwas verweist, das schon existiert, dann kann er nicht seinen Wunsch, dem Ich irgendwie doch noch seine Existenzberechtigung zusprechen zu können, mit dem Anheften des haft-Suffix die Realität des Ichs  quasi vorwegnehmend schon implizieren.

Entweder es gibt das Ich oder es gibt dieses nicht; denn wo kein Ich – da ist auch kein „Ich-haftes“.

 

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